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Contentman > Trotz oder gerade wegen der Künstlichen Intelligenz

Dem Denken zuliebe: Warum wir mehr von Hand schreiben sollten

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Es gibt überraschend viele und gute Gründe, wieder mehr mit der Hand – also mit Stift auf Papier – zu schreiben. Deshalb will dich dazu überreden, endlich wieder deine Handschrift zu trainieren. Einer der Gründe: Du kannst dadurch besser denken. Glaubst du nicht?

schnell zusammengefasst …

Das Schreiben von Hand hat Vorteile gegenüber dem Tippen auf einer Tastatur, da es mehr Bereiche im Gehirn stimuliert und zu einer intensiveren Vernetzung der Informationen führt. Studien zeigen, dass handschriftliche Notizen länger im Gedächtnis bleiben und das Schreiben von Hand das Lernen und die Speicherung von Informationen verbessert. Es wird empfohlen, die Handschrift wieder zu erlernen und persönliche Gedanken auf Papier festzuhalten, um den Denk- und Lerneffekt zu verbessern.

Zu Fuß gehen, von Hand schreiben (Foto: Eric)
Zu Fuß gehen, von Hand schreiben (Foto: Eric)

Meine Leser hier wissen, dass ich empfehle, mit der Hand zu schreiben. Insbesondere das Automatische Schreiben oder die Drei guten Dinge gelingen mit einem Kugelschreiber oder einem Füller besser als mit der Tastatur. Ich habe mir das zeitweise damit erklärt, dass wir als Kinder früher mit dem Stift als mit der Tastatur zu schreiben gelernt haben. Und dass dies deshalb unser wichtigster Schreibkanal ist. Doch das ist nicht der einzige Grund, wie die Wissenschaft zeigt. .

Eine Studie: dank Handschrift mehr verstehen und Fakten länger merken

In einer Studie kamen die Psychologen Pam Mueller und Daniel Oppenheimer 2014 zu dem Ergebnis, dass handschriftliche Notizen besser im Gedächtnis bleiben als getippte:

Die 67 Teilnehmer schauten sich ein 15-minütiges Video an und machten sich in verschiedenen Gruppen Notizen auf Papier und auf einem Notebook. Danach wurden sie eine halbe Stunde lang abgelenkt und sollten schließlich Fragen zum Video beantworten.

Bei Fragen zu den Fakten lagen beide Gruppen etwa Kopf an Kopf. Aber wenn es um das Verständnis ging, schnitt die analoge Gruppe deutlich besser ab. Wir können also davon ausgehen, dass wir durch das Schreiben von Hand nicht mehr „lernen“ aber mehr „verstehen“.

Du kannst also davon ausgehen, dass die Kolleg:innen, die mit dem Notizbuch statt mit dem Notebook ins Meeting kommen, dir aufmerksamer zuhören und mehr von dem hören, was gesagt wird. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass sie eher keine Mails und WhatsApp bekommen.

Wie kommt das? Die Neurologie weiß Bescheid: Wenn wir von Hand schreiben, werden schlicht mehr Bereiche im Gehirn stimuliert. Und das führt zu einer intensiveren Vernetzung der Informationen. Eigentlich logisch also, dass wir per Handschrift besser „verstehen“.

In einer anderen Studie konnte Robinson Meyer nachweisen, dass handschriftliche Notizen länger im Gehirn bleiben als digitale. Studenten konnten selbst nach einer Prüfung noch länger ihre Aufschriebe behalten, wenn sie diese traditionell notiert hatten.

handschriftliche notizen für die Psycho-Prüfung
Auch das kann ich übrigens bestätigen: Die beste Art zu lernen, ist vielleicht sogar, die zu merkenden Inhalte selbst strukturiert und bunt auf ein Plakat zu malen. Mir hat das jedenfalls bei der Prüfung zum Psychotherapeuten (HPG) sehr geholfen. Das sah dann so aus.

Ach ja: In Präsenz-Seminaren ermuntere ich meine Teilnehmenden dazu, ihr Notebooks außerhalb der Übungen lieber geschlossen zu lassen. Erstens, weil sie dann mehr lernen (siehe oben) und zweitens, weil irgendwie immer ein Teil des Menschen im Bildschirm versinkt. Ist dir das schon aufgefallen?

Weitere Studien zum Schreiben mit der Hand

Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten: Eine Studie der Indiana University (James, 2012) zeigte, dass Kinder, die Buchstaben von Hand schreiben, ihre Form besser erkennen als Kinder, die auf einer Tastatur tippen. Der Akt des physischen Schreibens verbessert das Lernen und die Speicherung von Informationen.

Verbesserung des Lese- und Schreibvermögens: Eine Studie, die im „Journal of Learning Disabilities“ (Berninger et al., 1997) veröffentlicht wurde, ergab, dass das handschriftliche Schreiben von Texten die Worterkennung und das Schreibvermögen bei Kindern verbessert. Die Autoren der Studie glauben, dass dies daran liegt, dass das Schreiben von Hand mehr Bewegung erfordert und die Kinder daher mehr darüber nachdenken, wie die Buchstaben geformt werden.

Verbesserung der Gedächtnisleistung: Eine Studie, die im Journal „Psychological Science“ (Mangen & Velay, 2010) veröffentlicht wurde, fand heraus, dass das handschriftliche Schreiben von Informationen zu einer besseren Speicherung und einem besseren Verständnis dieser Informationen führt, verglichen mit dem Tippen auf einer Tastatur.

Nicht immer – aber immer mehr von Hand

Bitte nicht falsch verstehen: Ich könnte meine Arbeit ohne Tastatur nicht erledigen. Und es wäre mir unmöglich, einen diesen Text hier von Hand zu schreiben. Zwar arbeite ich an meiner Fähigkeit, meine Gedanken zu diktieren statt zu schreiben – aber für professionelle Texte ist das auch keine Lösung (siehe unten).

Ohne das schnelle Korrigieren und gedankliche Herumspringen wäre ich aufgeschmissen. Auch, wenn die guten, alten Dichter und Autoren ihre großen Werke mit einer Feder auf Papier geschrieben haben. Mir ist heute rätselhaft, wie Goethe, Kafka und Hölderlin das konnten. Ich muss an einer Geschichte kreuz und quer arbeiten.

Aber drehen wir das doch einmal herum: In welchen Situationen kommt es NICHT auf Kreuz-und-Quer-Korrekturen, sondern auf den Denk- und Lerneffekt an? Genau: bei Übungen wie dem Automatischen Schreiben oder beim Tagebuchschreiben.

Zwischenzeitlich habe ich auch meine To-do-Listen mit Hand geschrieben und notiere täglich in ein Tagebuch. Mit einem Notizbuch und einem schönen Stift fühlt sich das verbindlicher, persönlicher an. Allerdings verstehe ich jeden, der das anders macht.

Ausnahme Tagebuch: Tippen für die KI

Die Welt ist allerdings komplexer geworden. Seit Ende 2022 ist nun die Künstliche Intelligenz aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Und sie verspricht auch Vorteile fürs Tagebuch. Ganz kurz erklärt: Wenn du deine Gedanken archivieren, zusammenfassen und auf Emotionen analysieren willst, ist ein KI-Tagebuch eine gute Lösung. Und das muss natürlich getippt (oder gesprochen) werden.

Ausführlicher habe ich mich hier damit beschäftigt.

Wie Handschrift unser Denken verbessert

Schreiben mit dem Stift unterstützt uns beim Denken und bei der Selbsterkenntnis. Was du als Text formulieren und von Hand aufschreiben kannst, wird dich fortan weniger quälen. Außerdem schult das Schreiben von Hand das Denken – vor allem, weil es langsamer geht. Hier die Vorteile der Handschrift:

  1. Mit der Hand zu schreiben ist ungewohnt und kann neue Rituale unterstützen: Wenn du Übungen wie das Automatische Schreiben immer mit einem bestimmten Füller oder einem schönen Kugelschreiber erledigst, baust du eine Gewohnheit auf – die es dir leichter macht, in Zukunft in einen „kreativen“ oder „achtsamen“ Modus umzuschalten. Da die Tastatur für uns Autor:innen mit „Arbeit“ verbunden, sollten wir persönliche Gedanken auf einem anderen Weg erfassen – von Hand.
  2. Gedanken, die mit Stift und Papier aufgezeichnet werden, sind weniger vergänglich: Auf einem Stück Papier wird mehr Endgültigkeit erzeugt. Zwar ist Papier heute nicht mehr so teuer wie früher Pergament. Doch das, was von einem Stift geschrieben wurde, ist unwiederbringlich formuliert. Man kann es zwar mit einem Radiergummi oder einem Tintenkiller (sagt man noch so?) löschen oder die ganze Seite wegschmeißen. Doch das ist ein sehr aufwendiger Vorgang im Vergleich zur Rücklöschtaste. Wir schreiben von Hand also endgültiger, also werden wir das konzentrierter tun.
  3. Es dauert länger: Entschleunigung kann dem Denken guttun. Das muss ich wohl nicht erklären. Vielleicht nur eins: Es geht nicht darum, dass der Schreibvorgang länger dauert. Es geht darum, dass du den Gedanken mehr Zeit lässt, in die richtige Form zu kommen.
  4. Von Hand zu schreiben, bedeutet nur für sich selbst zu schreiben: Natürlich kannst du Papier auch als Brief verschicken oder fotografieren und verbreiten. Aber das macht heute kaum mehr jemand. Also ist der häufigste Adressat einer handgeschriebenen Notiz immer nur du selbst. So wird deine Zeit, in der du mit Hand schreibst, zu einem Date mit dir selbst. Und ees fühlt sich gut an, die eigenen Geheimnisse mit sich selbst zu teilen.
  5. Handschrift haben wir zuerst gelernt: Wir sind damit also näher an unserer „Menschwerdung“. Das mag sich nun langsam mit den nächsten Generationen ändern. Kleinkinder können Tablets bedienen, bevor sie schreiben. Aber bei allen, die diesen Artikel hier lesen, bin ich mir sicher, dass ihr erst Handschrift und dann Tastatur gelernt habt.
  6. Der Weg vom Kopf zum Papier ist kürzer, wenn von Hand geschrieben wird: Vor allem für Menschen, die nicht mit zehn Fingern über die Tastatur fliegen, sondern die Buchstaben noch suchen müssen: Die Suche nach dem „ß“ oder einer Ziffer lenkt dich immer wieder ab.
  7. Stift und Notizbuch machen was her. Setze dich mal mit einem schönen Buch und einem Stift in ein Meeting – statt mit dem Tablet oder einem Notebook. Du bekommst mehr mit und machst mehr Eindruck.

UND – vielleicht ist das ja nur meine ganz persönliche Wahrnehmung – ich meine schon, dass mir von Hand geschriebene Gedanken irgendwie „näher“ und „wahrer“ erscheinen als getippte.

Was tun gegen schlechte Handschrift?

Ich empfehle also dringend, die gute, alte Handschrift wieder zu erlernen. Du wirst sofort zwei Wahrnehmungen haben:

  1. Erstens wird dir nach den ersten Schreib-Sessions die Hand wehtun. Na ja, dazu fällt mir eigentlich nichts anderes ein, als dass das wieder vorbeigeht. Muskel, die nicht verwendet werden, lassen nach – können aber auch wieder trainiert werden.
  2. Zweitens wirst du mit deiner Handschrift sehr wahrscheinlich nicht zufrieden sein. So ging es jedenfalls mir. Ich konnte kaum einen Satz lesen, nachdem ich vor einigen Jahren die Handschrift wieder für mich entdeckt habe. Und ich finde meine handgeschriebenen Notizen immer noch wie von einem minderjährigen Hochschullehrer geschrieben. Schrecklich. Aber ich habe meinen Frieden damit gemacht, immerhin kann ich sie wieder lesen.

Nach einigen Versuchen, meine Schrift zu verschönern, habe ich aufgegeben und konzentriere mich nur noch auf einen Gedanken: langsam schreiben. Dann wird es auch lesbar. Mit der Hektik wird meine Schrift unleserlich.

Und das ist mein Tipp an euch: Seid vorsichtig vor Programmen, in denen euch versprochen wird, nun endlich eine ausdrucksstarke und schöne Schrift zu bekommen. Das kostet viel Lebenszeit – aber was bringt es schon?

Trotzdem ein paar Ideen, wie du deine eigene, aber lesbare Schrift entwickelst:

By Hamburger Schulbehörde [Public domain], via Wikimedia Commons
Wenn die Linien gerade sind, dann sieht die Handschrift schon mal einigermaßen gut aus. Das ist übrigens die „Hamburger Druckschrift“… (Foto: Hamburger Schulbehörde, via Wikimedia Commons)
  1. Schreibe langsam. Noch langsamer. N.O.C.H. laaaangsssssaaaameer…
  2. Schreibe exakt auf der Linie. Ob du Blätter mit Karos oder Linien hast – egal. Aber konzentriere dich darauf, auf der Linie zu schreiben.
  3. Halte auch die anderen Linien. Versuche die nach unten ragenden Elemente (z. B. bei g, j, p), die nach oben ragenden Buchstaben (t, l, b, d u.s.w.) und die mittelhoch reichenden Elemente (m, n und die Rundung beim „d“) jeweils auf Linie zu halten. Wie lang und hoch sie sind, ist dein Stil. Aber wenn diese Linien gerade sind, dann sieht alles schöner aus.
  4. Lasse deine Buchstaben entweder alle nach vorn fallen oder alle gerade stehen. Nicht mal nach vorn und mal gerade.
  5. Mache alle Buchstaben schmal oder breit. Auch damit kannst du herumspielen – aber entscheide dich dann für eins von beiden. Zumindest so lange, bis du das automatisch angleichst.

Und dann lege los. Schreib! Natürlich kannst du Texte abschreiben – warum nicht diesen hier. Und wenn du dann – wie beim Automatischen Schreiben – zur Übung deiner Handschrift deine Gedanken frei herausschreibst, hast du den doppelten Effekt, dass du dir damit etwas Gutes tust. Trainiere mal ein oder zwei Wochen täglich zehn Minuten. Das wirkt Wunder, glaube mir.

Gute Stifte und schönes Papier

Ich gestehe, ich bin vom Team „Mr. Gadget“. Deshalb habe ich mir einen schönen Füller gekauft, den ich aus dem Tintenfässchen befülle. Und wenn ich in einem Laden ein Regal voller schöner Notizbücher sehe, würde ich am liebsten alle kaufen. Manchmal denke ich, dass ich nur deshalb so viel von Hand schreibe, damit ich mir wieder ein neues Heft von Moleskine, Leuchtturm oder bei Manufactum oder Muji kaufen darf.

Deshalb denke ich: Vielleicht hilft es dir, wenn du dir ein bisschen Stil beim Schreiben gönnst. Statt mit dem blöden, kostenlosen Kuli aus dem Drogeriemarkt schreibt es sich mit einem schönen Gerät einfach angenehmer. Zwar wird dadurch kein Satz besser oder wahrer. Aber mit einer hübschen Schreibumgebung signalisierst du dir selbst die Wichtigkeit des Vorhabens.

Ein Tipp noch: Mit einem Din A-4 Heft fällt das Schreiben etwas leichter also mit kleinen Heften, weil die Schreibhand leichter darauf abgelegt werden kann. Probiere es mal.

Also, ab heute: Wenn es persönlich wird, wird handgeschrieben

Fang einfach mal an. Trage ständig ein Heft und einen Stift mit dir herum – im Laufe des Tages wirst du die Zeit und die Lust haben, beides zu benutzen. Wenn du eine der oben genannten Übungen machst, sowieso. Vielleicht kannst du auch für dich die Regel etablieren, die bei mir schon eine Selbstverständlichkeit ist: Immer, wenn es persönlich wird, greife ich zu Stift und Heft. Und dann habe ich wieder ein sehr angenehmes Date mit mir selbst.

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