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Contentman > Kreativität üben mit Nichtstun

Niksen: Mit der Kunst des Nichtstuns die Kreativität entfesseln

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Wieder so was: Niksen. Wieder ein solcher Trend gegen die neoliberale Produktivität, die von arbeitsscheuen Generationen erdacht und propagiert wird? Nein, denn ohne das Nichtstun wirst du auch keine kreativen Ergebnisse haben. Niksen ist sogar höchst produktiv beim Aktivieren des Default-Mode Networks und damit eine notwendige Technik für die kreative Inkubation. Zu all den Fremdwörtern weiter unten mehr.

Nichts tun. Echt, nix. Also niksen (Foto: Paul)

Niksen? Was’n das?

Wo allein das Schema von Reiz und Reaktion von Bedürfnis und Befriedigung, von Problem und Lösung, von Ziel und Handlung herrscht, verkümmert das Leben zum Überleben, zum nackten animalischen Leben. Das Leben erhält seinen Glanz erst von der Untätigkeit.”

Byung-Chul Han in seinem Buch „Vita Contemplativa oder von der Untätigkeit“ (Ullstein, Berlin 2022)

Niksen, wörtlich „nichts tun“, ist eine Idee, die aus den Niederlanden stammt und die das bewusste Entscheiden fürs Nichtstun unterstützt. Im Gegensatz zur Faulheit, die oft mit mangelnder Motivation assoziiert wird, ist Niksen eine Pause, ein Moment des Innehaltens. Der dazu dient, den Geist zu erfrischen und zu entspannen. Für Autoren kann dies bedeuten, sich Zeit zu nehmen, um aus dem Fenster zu schauen – auch ohne über ein bestimmtes Projekt nachzudenken oder zu grübeln.

Eine Sache nur

Wer hat’s erfunden? Niksen kann nicht einer einzelnen Person oder einem spezifischen Erfinder zugeschrieben werden. Es wird als kulturelles Phänomen beschrieben, das in den Niederlanden verwurzelt ist. Die Praxis des Nichtstuns oder des Zulassens von Leerlaufzeiten ohne spezifische Aktivität oder Ziel ist natürlich ein Teil vieler Kulturen. Hier ein kleiner Rundgang über den Globus:

  1. Dolce Far Niente (Italienisch): Dieser Ausdruck bedeutet wörtlich „die Süße des Nichtstuns“ und beschreibt die Fähigkeit, das Vergnügen des Augenblicks zu genießen, ohne sich auf Produktivität zu konzentrieren. Es betont mehr den Genuss und das Vergnügen, das aus der Untätigkeit entsteht.
  2. Farniente (Französisch): Ähnlich wie „Dolce Far Niente“ bezieht sich „Farniente“ auf das angenehme Faulenzen oder die Entspannung. Das Nichtstun als eine angenehme Tätigkeit.
  3. Siesta (Spanisch): Ursprünglich bezieht sich Siesta auf eine Ruhepause oder ein Mittagsschläfchen, insbesondere in heißen Ländern. Es ist eine Zeit, in der die Arbeit unterbrochen wird, um sich auszuruhen, was indirekt auch Momente des Nichtstuns einschließt.
  4. Lykke (Dänisch): Während „Lykke“ direkt mit Glück übersetzt wird, beinhaltet das dänische Verständnis von Glück oft das Genießen einfacher Freuden und das Wertschätzen des Nichtstuns.
  5. Lagom (Schwedisch): Lagom steht für „nicht zu viel, nicht zu wenig, genau richtig“ und fördert ein ausgewogenes Leben. Obwohl es nicht direkt das Nichtstun beschreibt, beinhaltet es die Idee, dass übermäßige Arbeit und Stress vermieden werden, um ein harmonisches Leben zu führen.
  6. Tao (Chinesisch): In der Philosophie des Taoismus ist das Konzept von Wu Wei relevant. Dort bedeutet es „Nicht-Handeln“ oder „Handeln durch Nicht-Handeln“. Es geht darum, im Einklang mit dem natürlichen Lauf der Dinge zu leben, was Momente des bewussten Nichtstuns einschließt, um Harmonie und Ausgeglichenheit zu erreichen.
  7. Ma (Japanisch): Ma bezieht sich auf die Wertschätzung von Leerräumen, Pausen und Intervallen. Es geht nicht direkt um Nichtstun, sondern um die Anerkennung der Bedeutung von Raum und Pause. Der Moment zwischen Aktionen oder Ereignissen, was indirekt die Idee des Innehaltens und Nichtstuns unterstützt.

Und jetzt ist nun mal „Niksen“ bei uns ein Trend. Vielleicht, weil uns die Niederländer auch viel näher als alle anderen Tagträumer sind 😉

Und was ist der Unterschied zum Meditieren und zur Achtsamkeit?

Von Außen betrachtet sind Meditation und Achtsamkeit dem Niksen ähnlich. Auch hier sitzt man oft da und tut vermeintlich nichts. Doch tief drinnen sieht es ganz anders aus: Bei einer Meditation wird auf den gegenwärtigen Moment, den Atem oder die eigenen Gedanken und Empfindungen fokussiert. Manchmal viel zu intensiv. Niksen dagegen verlangt keine aktive geistige Anstrengung, im Gegenteil.

Es ist beim Niksen nicht das Ziel, den Geist zu leeren oder einen Zustand der Entspannung zu erreichen. Es geht darum, sich eine Pause vom ständigen Denken und Produzieren zu gönnen. Und es geht auch nicht um den Genuss oder einen tollen Moment. Im Gegensatz etwa zum „Dolce Far Niente“, dem süßen Nichtstun, das oft mit Genuss verbunden ist, ist Niksen das pure, ziellose Sein. Und das musst du erst einmal hinbekommen.

Was sagt die Wissenschaft?

Studien in der Kognitionspsychologie und Neurowissenschaften unterstützen die Idee, dass Phasen des Nichtstuns für die kreative Verarbeitung und Problemlösung entscheidend sind. Das Gehirn bleibt in diesen Phasen aktiv und verarbeitet Informationen auf eine Weise, die während fokussierter Arbeit nicht möglich ist. Dieses „Inkubation“-Prinzip ist besonders relevant für kreative Berufe wie das Schreiben.

Anders gesagt: Während du weder aufnimmst noch produzierst, werden die vorhandenen Inhalte deines Gehirns zu neuen kreativen Ideen umstrukturiert.

Und das lässt sich bei der Arbeit des Default-Mode Network (DMN) im Gehirn beobachten. Dieses Netzwerk ist eine Gruppe von Gehirnregionen, die typischerweise dann aktiv sind, wenn eine Person nicht auf die Außenwelt fokussiert ist oder sich in einem Zustand der Ruhe befindet. Also beim Tagträumen, Reflektieren oder eben beim „Nichtstun“. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass das DMN eine wesentliche Rolle bei der internen Gedankenschweifung, Selbstreflexion und dem Generieren neuer Ideen spielt.

Das DMN versetzt das Gehirn in einen Zustand, in dem es freier assoziieren und Informationen auf weniger lineare und konventionelle Weise verknüpfen kann. Und weil das DMN beim Niksen aktiviert wird, sollte es tatsächlich dazu beitragen, die kreativen Fähigkeiten zu fördern.

Allerdings lässt sich das auch ohne Wissenschaft erklären: Wenn du immer entweder Informationen aufnimmst oder sie reproduzierst, bleibt dem Gehirn keine Zeit, sie kreativ miteinander zu verknüpfen.

Hier einige Studien zum Nachlesen:

  • Raichle et al. (2001): Eine der grundlegenden Studien, die das DMN identifizierte, war von Marcus E. Raichle und Kollegen, die feststellten, dass bestimmte Gehirnregionen konsistent aktiver sind, wenn Individuen in Ruhezuständen sind, verglichen mit kognitiven Aufgaben. Die Studie wird oft zitiert in Diskussionen über das DMN. https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.98.2.676
  • Mason et al. (2007): Diese Studie untersuchte die Gehirnaktivität während des Tagträumens und fand heraus, dass das DMN stark involviert ist, was auf seine Rolle bei der Generierung von internen Gedanken und der Kreativität hinweist. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1821121/
  • Buckner, Andrews-Hanna, & Schacter (2008): Diese Forschungsarbeit bietet einen Überblick über das DMN und diskutiert seine Funktionen in Bezug auf Selbstreferenzierung, Erinnerungen an die Vergangenheit und Gedanken über die Zukunft. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18400922/

Niksen muss/kannst du lernen

Für Autoren wird die Integration von Niksen im Alltag eine Herausforderung darstellen. Vor allem, wenn du zwischen zwei knallharten Terminen in einer kreativen Blockade steckst. Und trotzdem wird es einen erheblichen Unterschied bewirken.

Wenn es dir gelingt, kurze Niksen-Pausen, beispielsweise fünf bis zehn Minuten, einzuführen, dann kann das als kreativer Neustart dienen und dich mit neuen Gedanken an den Schreibtisch zurückkehren. Das lässt sich sogar wissenschaftlich belegen, siehe unten.

Also, einfach nur dasitzen, den Blick schweifen zu lassen und nicht an die Arbeit denken. Klingt einfach – ist es aber nicht. Deshalb hier einige Punkte, die helfen:

  1. Plane bewusste Pausen ein: Beginne damit, bewusste Pausen in Ihren Tagesablauf einzuplanen, ähnlich wie Termine oder Besprechungen. Diese Niksen-Zeiten müssen nicht lang sein; schon fünf bis zehn Minuten können wirksam sein. Am besten sind Zeiten, in denen du normalerweise eine mentale Ermüdung spürst oder nach einer intensiven Arbeitsphase.
  2. Suche dir eine entspannende Umgebung: Dies könnte ein bequemer Sessel, ein Platz am Fenster mit Blick auf die Natur oder ein stiller Raum in Ihrem Zuhause oder Büro sein. Die Umgebung spielt eine große Rolle. Leider, weil wir sie manchmal nicht wirklich wählen können.
  3. Technologie bewusst nutzen: Benachrichtigungen vom Smartphone schaltest du aus oder legst es ganz beiseite. Und damit du nicht zu früh wieder einsteigst, programmierst du dir einen Time auf, sagen wir mal, zehn Minuten.
  4. Achtsamkeit ohne Ziel: Im Gegensatz zu Achtsamkeitsübungen, die oft mit einer fokussierten und verkrampften Aufmerksamkeit einhergehen, geht es bei Niksen darum, ohne spezifisches Ziel zu entspannen. Die Gedanken dürfen frei schweifen, ohne sich an bestimmte Themen oder Sorgen zu klammern. Du darfst auch darüber nachdenken, dass du nicht nachdenken sollst. Ansonsten schaust du aus dem Fenster, genießt die Ruhe und lässt die Zeit verstreichen. Mit der Gewissheit, etwas Gutes für deine Kreativität zu tun.
  5. Seien nachsichtig mit dir: Es ist herausfordernd, sich Zeit fürs Nichtstun zu nehmen, ohne sich unproduktiv oder schuldig zu fühlen. Erinnern dich immer daran, dass Niksen ein wertvoller Teil der Selbstfürsorge ist und dazu beiträgt, geistige Klarheit und Kreativität zu fördern. Sei nachsichtig, auch wenn es anfangs ungewohnt erscheint.

Also los? Moment noch…

Eines der Hauptprobleme, mit denen Autoren konfrontiert sein könnten, ist das Gefühl, dass Niksen Zeitverschwendung sei, besonders in einer Kultur, die ständige Produktivität fordert. Es kann schwierig sein, den inneren Kritiker zu überwinden, der behauptet, dass jede Minute produktiv genutzt werden sollte. Doch gerade in diesen Momenten des Widerstands kann Niksen am wirksamsten sein, indem es hilft, diesen Druck zu verringern und eine gesündere Beziehung zur Arbeit und Kreativität zu fördern.

  1. Akzeptiere den Prozess: Erkenne an, dass Niksen ein Prozess ist und es normal ist, sich zunächst unwohl oder unproduktiv zu fühlen. Akzeptiere, dass die Gedanken abschweifen und du dich unruhig fühlst. Das Ziel von Niksen ist es nicht, sofortige Ergebnisse zu erzielen, sondern sich selbst die Erlaubnis zu geben, zu sein.
  2. Umdenken: Versuche, die Perspektive zu ändern, indem du Niksen nicht als Zeitverschwendung, sondern als eine Investition in dein Wohlbefinden und die kreative Zukunft betrachtest. Erinnere dich daran, dass Ruhe und Erholung für nachhaltige Kreativität und Produktivität unerlässlich sind.
  3. Setze dir kleine, erreichbare Ziele: Wenn du mit dem Ziel „kreativer werden“ an Niksen herangehst, kann das Druck erzeugen. Hilfreicher sind kleinere, weniger messbare Ziele setzen, wie z.B. „Ich nehme mir Zeit für mich selbst“ oder „Ich erlaube mir, fünf Minuten lang nichts zu tun“. Diese Herangehensweise kann helfen, den Druck zu verringern.
  4. Integriere Niksen schrittweise: Beginne mit sehr kurzen Perioden des Nichtstuns und erhöhe diese Zeiten allmählich. Selbst eine Minute des bewussten Nichtstuns kann wertvoll sein und hilft Ihnen, sich an die Praxis zu gewöhnen.
  5. Reflektion: Führe ein Tagebuch über deine Erfahrungen mit Niksen. Notiere deine Gedanken und Gefühle vor, während und nach den Niksen-Momenten. Diese Reflexion kann helfen, Muster zu erkennen und besser zu verstehen.
  6. Reflektiere deine Glaubenssätze: Beginne damit, die inneren Überzeugungen über Produktivität und Nichtstun zu hinterfragen. Viele Menschen sind mit der Vorstellung aufgewachsen, dass Zeit nur dann wertvoll genutzt wird, wenn sie produktiv ist. Versuche, diese Glaubenssätze zu erkennen und zu hinterfragen, um einen gesünderen Blick auf Ruhe und Entspannung zu entwickeln.

Oder mach einfach weiter. Denn selbst, wenn es sich nicht in jedem Moment super anfühlt: es funktioniert!

Na dann: los!

Vielleicht ist das auch so etwas wie ein geheimer Trick: Nur wer auch entspannen kann, wird auf Dauer kreative Ergebnisse erziehen. Ich bin mir sicher, dass wir uns darauf einigen können – ob wir es Niksen, Tao oder Tagträumen nennen. Jetzt müssen wir es nur noch tun.

Und weil ich damit auch meine Schwierigkeiten habe, werde ich jetzt wieder zehn Minuten lang nichts tun. Mach doch einfach mit.

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