Paul Jonas argumentiert, dass das Schreiben von Haikus in der heutigen, von KI-generierten Texten und flüchtigen Inhalten geprägten Welt, eine wertvolle und fast revolutionäre Übung darstellt. Wie der Autor beschreibt, zwingt die knappe Form des Haikus (17 Silben auf drei Zeilen) zu radikaler Entschleunigung und präziser Wortwahl, Fähigkeiten, die im digitalen Zeitalter zunehmend wichtiger werden. Jonas betont den wertvollen Nebeneffekt, dass das Haiku-Schreiben die Fähigkeit zur prägnanten Kommunikation schult, ähnlich wie beim Verfassen von Newsletter-Betreffen oder Produktbeschreibungen. Die Übung, so Jonas, verbessert das Denken und Schreiben, unabhängig vom Erfolg einzelner Gedichte. Letztendlich sieht Jonas im Haiku-Schreiben ein effektives Training für prägnante und einprägsame Kommunikation, das dem Leser ein Gefühl des Verstehens und somit ein Dopamin-Kick verschafft.
In einer Welt voller ChatGPT-Texte, endloser LinkedIn-Posts und Reels, die in Sekunden vorbeiscrollen, wirkt das Schreiben eines Haiku fast revolutionär: 17 Silben, drei Zeilen, mehrere Stunden Arbeit. Klingt verrückt? Ist es auch – und genau deshalb so wertvoll.
Warum Haikus jetzt wichtiger sind denn je
Während KI-Tools perfekte Texte generieren, zwingen dich Haikus zur radikalen Entschleunigung. Jedes Wort muss verdient werden. Jede Silbe zählt. Es gibt keine Autokorrektur für Gedanken und keinen Prompt, der dir die Arbeit abnimmt.
Diese bewusste Langsamkeit ist subversiv. Während Content-Creator um Aufmerksamkeit kämpfen, entwickelst du durch Haiku-Schreiben eine seltene Fähigkeit: präzise, menschliche Verdichtung.
Das Paradox unserer Zeit: Unendlich viele Worte – aber immer weniger zu sagen. Haikus lehren das Gegenteil: Mit wenig viel bewirken.
Ob du Newsletter schreibst, Produktbeschreibungen textest oder einfach klarere Gedanken haben willst – die 700 Jahre alte japanische Kunstform ist dein modernster Trainingspartner. Denn eines können Algorithmen nicht: den Moment der Stille schaffen, in dem beim Leser der Groschen fällt.
Ich schreibe seit Jahren Haikus. Nur wenige sind auch gelungen. Die meisten wandern in den digitalen Papierkorb. Aber die Übung verändert, wie ich denke und schreibe. Und genau darum geht es.
Eine Kunst: Ein Haiku ist eine uralte Gedichtform aus Japan. Man sagt, dass die alten Meister mehrere Jahre an den rund 17 Silben eines solchen Haikus gearbeitet haben. Das klingt heutzutage schräg – ist aber einer der Gründe, warum ich dir das Haiku-Schreiben ans Herz legen will.
Was ist ein Haiku?
Der „Haiku“ (jap. 俳句; Plural: Haiku, auch: Haikus) ist die vielleicht kürzeste Poesie-Form der Welt. Im 13. Jahrhundert in Japan entwickelt, haben Haikus auch in westlichen Ländern eine lange Tradition. Ihre wichtigsten Eigenschaften: knappe Form (größtenteils drei Zeilen, zusammen etwa 17 Silben) und konkrete Gegenwärtigkeit, verbunden mit einem Gedankenblitz.
Während traditionelle japanische Haiku-Dichter wie Matsuo Bashō (1644–1694) sehr lyrisch daherkommen, ist die deutsche Szene lebendiger und pragmatischer. Einige Autoren sind in der Deutschen Haiku-Gesellschaft organisiert.
Ein traditionelles Beispiel aus Japan:
Der alte Weiher:
Ein Frosch springt hinein.
Oh! Das Geräusch des Wassers.
Matsuo Bashō
Ein klassisches deutsches Beispiel:
Der Bauer pflügt den Acker.
Wer
Wird die Ernte einbringen?
Bertolt Brecht
Ja, richtig gelesen: Bertolt Brecht. Auch Rilke und andere deutsche Dichter haben gelegentlich in kurzen japanischen Versen gedacht.
Die Magie der Haikus im digitalen Zeitalter
Ob japanisch oder deutschsprachig, die Ästhetik liegt nicht nur in der Kürze. Das Reduzieren auf wenige Silben trainiert Wortwahl, Originalität und „Framing“ – Eigenschaften, die heute in Threads, Newsletter-Betreffzeilen und Push-Notifications gefragt sind.
Der zusätzliche Zauber entfaltet sich über die traditionelle Konkretheit und Fokussierung auf den Augenblick. Gelungene Haikus:
- sagen nur das Notwendigste
- kommentieren nicht
- lassen das Wesentliche im Kopf entstehen
- sind sprachlich einfach formuliert
Die Schnellstart-Anleitung:
- 17 Silben, verteilt auf drei Zeilen (5-7-5)
- Inhalt bezieht sich auf die Gegenwart
- enthält meist „Natur“-Wörter
- deutet das Wesentliche nur an
Alle Regeln dürfen auch gebrochen werden.
Darum lohnt es sich 2025, Haikus zu schreiben
Der Dopamin-Kick des Verstehens
Beobachte dich selbst: Du liest einen klugen Tweet oder eine gelungene Headline – und lächelst innerlich. Das Gehirn belohnt jeden verstandenen Zusammenhang mit Dopamin. Das fühlt sich gut an, wie eine Tasse Kaffee, nur gesünder.
Genau diesen Effekt trainierst du beim Haiku-Schreiben. Mit nur wenigen Worten einen Geistesblitz auslösen.
Training ohne Publikumsdruck
Warum nicht gleich mit Tweets üben? Weil du beim Haiku-Schreiben völlig ohne Druck deine Ideen ausprobieren kannst. Wenn du „sinnlos“ Gedanken und Wörter durch den Kopf schiebst, Formulierungen prüfst und überlegst, was du weglassen kannst, dann denkst du frei – nicht an deine Follower.
Die 17 Silben kannst du im Kopf behalten – dein Trainings-Tool ist immer dabei.
Der Anti-KI-Effekt
KI-Tools können Haikus generieren. Aber sie können nicht monatelang an 17 Silben feilen. Sie kennen nicht das Gefühl, wenn nach Wochen plötzlich das perfekte Wort auftaucht. Diese langsame, obsessive Arbeit an Sprache ist zutiefst menschlich.
In einer Welt voller AI-Content wird diese Art des Schreibens zur Differenzierung. Du entwickelst ein Gespür für Nuancen, das keine KI replizieren kann.
Wie man einen Haiku schreibt
Vielleicht willst du einfach mal anfangen. Hier ein kleines Tool dafür:
🌸 Haiku-Schreibhilfe
Das Verfassen ist Übungssache. Hier die Schritte für einen ruckelfreien Start:
1. Inspiration sammeln
Dafür brauchst du nicht viel Zeit – aber deine ganze Aufmerksamkeit. Unternimm einen Spaziergang oder schließ die Augen. Was interessiert dich? Welche „überflüssigen“ Gedanken berühren dich?
Du brauchst keine großartige Story, nur einen Gedanken. Vielleicht siehst du eine überraschende Szene oder ein „Was wäre wenn …“ taucht auf. Behalte diese Idee. Töte sie nicht durch logisches Analysieren.
2. Worte sammeln
Vermeide ganze Sätze. Notiere Begriffe, Assoziationen, Adjektive, Halbsätze zum Thema. Jongliere auch mit unpassenden Wörtern. Verwirf gewonnene Einsichten. Lass deine Seele herumspielen.
3. Zeile für Zeile
Oft steht in der ersten Zeile ein Wort zur Lebensumwelt (meist aus der Natur). Die zweite umschreibt das Thema, in der dritten blitzt eine Überraschung auf.
Das kann, muss aber nicht so sein. Mach einen Anfang. Aus einem Wort einen Halbsatz, daraus eine Zeile. Sag erst mal, was zu sagen ist – denk noch nicht über Länge oder Eleganz.
4. Sag es nicht!
Wenn deine Wörter das sagen, was zu sagen ist, nimm alles weg, was erklärt oder kommentiert. Halte die Angst aus, dass dein Haiku missverständlich wird – denn genau dann bist du auf dem besten Weg.
5. Zeit lassen
Schlaf darüber. Lies ihn in ein oder zwei Wochen wieder. Ändere oder verwirf ihn. Geh zurück auf Start.
Du wirst möglicherweise niemals mit einem Haiku zufrieden sein. Aber die Arbeit daran schult deine Achtsamkeit, Selbstkritik und Formulierungsfähigkeiten.
Moderne Anwendungsfelder
Content-Marketing
Newsletter-Betreffzeilen: Die Haiku-Logik hilft bei knappen, bildhaften Betreffzeilen, die neugierig machen, ohne zu spoilern.
Social-Media-Captions: Statt endloser Hashtag-Ketten ein prägnanter Dreizeiler, der zum Innehalten bringt.
Produktbeschreibungen: Besonders für minimalistische Marken: Wenige Worte, die das Wesentliche treffen.
Persönliche Entwicklung
Tagebuch-Praxis: Jeden Tag ein Haiku über das Erlebte schreiben – intensive Reflexion in kompakter Form.
Meeting-Zusammenfassungen: Die Kernaussage einer Besprechung in 17 Silben – trainiert das Fokussieren aufs Wesentliche.
Feedback geben: Kritik in Haiku-Form ist direkter und weniger verletzend als endlose Erklärungen.
Business-Kommunikation
Projekt-Updates: Statt ellenlanger Status-Mails ein Haiku, das den aktuellen Stand auf den Punkt bringt.
Vision Statements: Unternehmensvisionen in Haiku-Form sind einprägsamer als Corporate-Speak.
Haikus vs. KI – Der menschliche Vorteil
ChatGPT kann Haikus schreiben. Aber es kann nicht:
- Wochenlang an einem einzigen Wort zweifeln
- Die Stille zwischen den Zeilen spüren
- Sich von einem zufälligen Moment berühren lassen
- Jahrelang an denselben 17 Silben feilen
Diese „Ineffizienz“ ist dein Trumpf. Während KI optimiert, zweifelst du. Während sie produziert, verwirfst du. Diese menschliche „Verschwendung“ erzeugt Tiefe, die keine Maschine replizieren kann.
In einer Welt voller AI-Content wird handwerkliche Spracharbeit zur Rarität – und damit wertvoll.
Wie man möglichst schnell zu einem schlechten Ergebnis kommt
Die klassischen Stolpersteine aus meinen Workshops:
„Ich“: Es geht nicht um dich. Ein Haiku hat keinen sichtbaren Autor.
Erklären, kommentieren: Du stellst die Welt dar, wie sie ist. Der Gedankenblitz passiert im Kopf des Lesers.
Klischees, Metaphern, Wortspiele: KEIN Reim, KEIN Vergleich, KEINE Metapher. Niemals. Keine originellen Bilder!
Romantik, Zeigefinger, Gejammere: „Zeigen, nicht beschreiben“ ist die Aufgabe. Du willst keine Botschaft vermitteln.
Von der Übung zur Praxis
Für dich selbst
Das Schreiben von Haikus ist in erster Linie etwas für dich. Wer die 17-Silber schreibt, um sich selbst zu erkunden, wird schnell zu einem Ziel kommen. Lass dich überraschen, wie sich diese Poesie verändert und welcher Haiku noch nach Monaten in deiner Erinnerung bleibt.
Diese intimeren Haikus gehören ins Tagebuch, nicht auf Instagram.
Für die Öffentlichkeit
Wer veröffentlicht schon einen Haiku auf LinkedIn? Wenige – aber das macht es interessant. Ein gut getimter Haiku kann in der Content-Flut Aufmerksamkeit erzeugen.
Moderne Veröffentlichungs-Optionen:
- Threads: Kurze Haiku-Serien funktionieren überraschend gut
- Newsletter: Als Opener oder Schlusspunkt
- LinkedIn: Überraschungsmoment im Business-Feed
- Eigener Blog: Regelmäßige Haiku-Rubriken entwickeln treue Leser
Die Übung zählt
Es ist die Übung, die dir hilft. Die Möglichkeit, einen Text zu verwerfen, monatelang daran zu feilen, wirklich das Beste daraus zu machen. Diese Zeit nehmen wir uns im Schreiballtag normalerweise nicht.
Aber es hilft. Und Poesie ohnehin.

Ich bin Paul Jonas, Autor des Buches „Schreib. Dein. Buch“ und unübersehbar ein Pseudonym. Hier darf ich über meinen Job, das Schreiben und die Kreativität schreiben. Hier findest du mehr über mich.
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